Tag 1 - Der Markt

 

Eva hatte schlecht geschlafen. Ihr kleiner Bruder hatte sich die ganze Nacht unruhig im Bett, das sie sich teilten, herumgewälzt. Er war erst acht Jahre alt und war noch nie außerhalb von Kändelmar gewesen. Außer den weiten Wiesen, die sich nördlich von Kändelmar ausbreiteten, den hohen schneebedeckten Bergen im Osten und der Kändel die sich vom Wiwoda, dem höchsten aller Gipfel herab schlängelte und dann als breiter Fluss durch ihr Dorf floss, kannte ihr Bruder Johannes nichts. Die Kühe auf den Wiesen und die Libellen in der Luft waren seine Welt. Vorbeiziehende Händler oder Wanderprediger waren bisher für ihn die einzigen Zeugnisse gewesen, dass die unbefestigte Straße, die durch Kändelmar führte, auch wirklich hinter dem Horizont irgendwo hinführte. Umso erfreuter war er gewesen, als ihre Eltern ihnen verkündet hatten, dass sie sich auf den Weg nach Leasberg machen würden. Der nächstgelegenen Stadt. Eva war schon zwei Mal dort gewesen, denn dort lebten die Eltern ihres Vaters, und sobald sie alt genug gewesen war, hatten ihre Eltern sie mitgenommen, wenn sie in Leasberg den jährlichen Schmiedemarkt und ihre Großeltern besuchten. Die letzten Jahre hatte diese Reise allerdings nur ihr Vater bestritten, denn Leasberg hatte an der Grenze zum Kriegsgebiet gelegen, in dem sich König Bandel und die abtrünnigen Fürsten einen erbitterten Krieg geleistet hatten. Doch jetzt war der Krieg vorbei und Eva und Johannes konnten mit ihrem Vater und ihrer Mutter die Reise antreten.

Um sechs Uhr hatte Eva es nicht mehr ausgehalten und hatte das Zimmer verlassen. Nachdem sie sich gewaschen hatte, ging sie in das Zimmer ihrer Eltern. Ihr Vater war noch früher aufgestanden, als sie. Eva hatte, als sie zum Fluss gelaufen war, um sich zu waschen, das Hämmern gehört, dass man immer dann vernehmen konnte, wenn ihr Vater in der Schmiede Metall bearbeitete. Ihre Mutter lag noch im Bett, doch als sich Eva an sie kuschelte, öffnete sie die Augen und sagte verschlafen: „Guten Morgen, Eva. Du bist aber früh wach. Konntest du nicht schlafen? Hattest du einen Albtraum?“ Eva zischte genervt und erwiderte: „Ich habe höchstens einen Albtraum zum Bruder. Die ganze Nacht war er unruhig. Sogar nachdem ich für ihn gesungen habe.“ „Das hast du gemacht? Das ist aber lieb!“ Eva gähnte: „Naja, irgendwas musste ich doch machen. So konnte das doch nicht weitergehen.“ Daraufhin grinste ihre Mutter schelmisch und sagte: „Na scheinbar schon.“ Das Geplänkel ging so noch etwas weiter, bis ihre Mutter Eva sagte, dass sie jetzt Johannes wecken sollte und dass sie beide ihre Sachen packen sollten. Als Eva zu Johannes ging, um ihn zu wecken, schoss ihr auf einmal ein kleines Knäuel entgegen, dass sich als ihr Bruder entpuppte, als es in sie hineinlief. Während sich Eva den Arm rieb, mit dem sie Johannes noch gerade so abgehalten hatte, sprudelte Johannes schon vor Aufregung los: „Wo warst du denn? Ich will los. Wollen wir spielen? Sind Mama und Papa schon wach? Können wir bald los?“ Völlig überfordert von dem Redeschwall, der ihr entgegenkam, wollte sie gerade nachfragen, was Johannes denn jetzt genau wollte, als Johannes stolz hinzufügte: „Ich habe schon unsere Sachen gepackt.“ Da antwortete Eva: „Das gucke ich mir nochmal an“, nahm ihren Bruder an die Hand und schaute sich die beiden Beutel an, die ihr Bruder schon vollgestopft hatte. Doch obwohl die Beutel bis zum Rand gefüllt waren, fehlten die wichtigsten Sachen. Nachdem sie die Beutel mit ihrem Bruder zusammen nochmal neu gepackt hatte und ihren Bruder davon überzeugt hatte, dass er nicht alle sechs von ihm geschnitzten Figuren mitnehmen musste, gingen die beiden zu ihrer Mutter, bei der inzwischen auch ihr Vater war. Ihr Vater schien zufrieden mit sich zu sein und tatsächlich sagte er: „Sehr schön. Ich habe noch alles geschafft, was ich mir für heute vorgenommen hatte. Meinetwegen kann es losgehen.“ Johannes sprang aufgeregt auf und ab und auch Eva war auf einmal freudig erregt. Endlich würde sie wieder in einer Stadt sein. Endlich gab es wieder etwas Aufregendes zu tun.

Der Weg war bis zu ihrem ersten Halt nicht sonderlich aufregend gewesen. Die Sonne hatte die letzten Tage geschienen, weswegen der Weg fest war und der Karren, auf dem sie die Waren ihres Vaters befestigt hatten und von einem keine Probleme bereitete. Ihr erster Halt war ein kleines Nachbardorf, auf dem ein kleiner Markt stand. Ihr Vater baute seinen Stand auf und ihre Mutter machte sich auf die Suche nach einigen Heilkräutern, die ihr ausgegangen waren. Eva und Johannes bekamen beide einen Taler und durften sich umgucken. Johannes zerrte Eva als Allererstes zu einem Stand, bei dem Messer und Holzschalen verkauft wurden und Johannes machte sich begeistert daran, die Messer zu testen. Eva schaute ihm kurz zu und hoffte inständig, dass er keines der Messer kaputtmachte, denn nicht einmal beide Taler, die sie dabeihatten, waren genug für ein Messer dieser Qualität. Als es so schien, als ob Johannes vorsichtig genug mit den Messern umging, ließ sie ihre Aufmerksamkeit schweifen und beobachtete die anderen Stände, die um sie herumstanden. Links von ihnen sah sie einen Stand, der gepökeltes Fleisch verkaufte. Der Duft umhüllte sie kurz, als ihn ein Windzug zu ihr rüber trug, und der salzige Geruch des Fleisches kitzelte ihre Nase und brachte sie zum Niesen. Sie hieß ihren Bruder bei den Messern zu bleiben und schlenderte dann zu einem Stand, der ihnen direkt gegenüberstand. Dort hingen und lagen Stoffe in den buntesten Farben. Sie hatte noch nie so viel gefärbten Stoff auf einmal gesehen. Sie selbst trug nur ihre weißen Leinenkleider und Festtags ihren braunen Lederrock. Auch ihre Mutter trug selten bunte Kleidung. Nur beim Kirchenbesuch zu Ostern und Weihnachten trug sie einen blauen Schal und ein blaues Kleid. Eva fasste die Stoffe an und wunderte sich, wie weich die Stoffe im Vergleich zu ihren Leinen waren, als auf einmal eine unwirsche Stimme sie vom Stand wegscheuchte und meinte, dass sie noch den Stoff dreckig machen würde. Aufgeschreckt wendete sie sich nach rechts, doch als sie sah, dass es dort nur Gemüse und Fisch gab, drehte sie sich um und ging neugierig in die andere Richtung weiter. Sie wich einer Pfütze sowie dem bösen Blick des Stoffverkäufers aus und sah sich den Stand gegenüber vom Pökelfleisch an. Dort verkaufte eine ältere Frau, die ein bisschen so aussah wie ihre Großmutter, viele kleine Sachen. Eva sah Trinkhörner, Spielwürfel und kleine geschnitzte Holzfigürchen, die ihrem Bruder gefallen würden. Doch am besten gefielen ihr die kleinen Kristalle, die auf einem schwarzen Tuch ausgebreitet glitzerten und ihre Aufmerksamkeit erregten, weil sie so ähnlich aussahen wie die Steine, die in der Kirche von Kändelmar das Kreuz schmückten. In allen Farben schimmerten sie, doch sie wirkten dunkler und geheimnisvoller auf Eva. Fast magisch. Doch dann viel Evas Blick auf die Preistafel und sie sah, dass sie sich mit dem einen Taler, den sie hatte, nicht mal einen halben Stein leisten konnte. Sie zog also weiter und roch auf einmal einen unwiderstehlichen Geruch. Sie hatte seit Stunden nichts mehr gegessen und bei dem Geruch von Speck und frisch gebackenem Brot zog es sie zur Quelle des Duftes. Als sie den Ort gefunden hatte, stand sie vor einem Bäcker. In der warmen Sonne schwitzten die Gesellen, die gerade Brotlaibe in den Backofen taten, doch den Bäcker schien das nicht zu kümmern, denn er unterhielt sich lachend mit seiner Kundschaft. Als sich Eva ihm jedoch näherte, verstummte er und schaute sie lächelnd an. „Na, was möchtest du denn haben.“ Eva zuckte mit den Schultern und sagte: „Ich weiß es nicht genau. Aber ich will das haben, was hier so gut riecht.“ Der Bäcker lachte röhrend und sagte: „Mein Kind, alles, was es hier gibt, riecht gut, aber was du meinst, ist wohl der Rahmfladen. Schau her, Kleine. Er ist gerade aus dem Backofen raus.“ Er zeigte auf ein längliches Stück Brot, dass mit Käse überbacken, mit Speck gespickt war und tatsächlich noch immer etwas dampfte. Eva beugte sich über das, was der Bäcker Rahmfladen genannt hatte, sog den Duft ein und wirklich. Es war der köstliche Duft, der eben in der Luft gelegen hatte. Sie erkundigte sich nach dem Preis und bezahlte schließlich.

Sie bekam fünfzehn Schillinge zurück und machte sich wieder auf, um nach ihrem Bruder zu sehen. Sobald der Rahmfladen abgekühlt war, biss sie in ihn und merkte, dass er noch besser schmeckte, als sie es sich vorgestellt hatte. Als sie ihren kleinen Bruder fand, fragte er gerade den Messerverkäufer aus, ob man mit diesem Messer auch ordentlich schnitzen könne. Leicht genervt, aber doch belustigt antwortete der Verkäufer: „Ich weiß nicht, wie häufig ich dir das erklären muss. Du kannst mit jedem dieser Messer schnitzen.“ Eva und Johannes redeten noch kurz mit dem Verkäufer und machten sich dann auf den Rückweg zu ihren Eltern, nachdem sie für Johannes eine Wurst gekauft hatten. Der Rest des Tages verging wie im Pflug und am späten Nachmittag bauten sie den Stand ihres Vaters ab. Es war für ihn ein guter Tag gewesen, weswegen er seiner Familie ein zufriedenes Lächeln zeigte. Sie bauten ihr Nachtlager auf und machten ein Feuer. Johannes erzählte ganz aufgeregt, was er beim Messerverkäufer alles gesehen hatte und wie sie danach noch den Rest des Marktes erkundet hatten, bis er irgendwann in den Armen seines Vaters einschlummerte. Auch Eva wurden die Augenlider schwer und sie legte sich an ihre Schlafstelle. Sie sagte ihren Eltern gute Nacht und glitt gleich darauf in einen traumlosen Schlaf.

 

Tag 1 - Der Mittelalterliche Rahmfladen

Wenn du jetzt probieren möchtest, auch so einen Rahmfladen zu backen, kannst du dir das Dokument herunterladen. Darin findest du ein Rezept. Ein schönes Backvergnügen und guten Appetit. (Bildrechte: https://kuechenduftundbackgenuss.wordpress.com/)